Dienstag, 12. Januar 2010

ABENDGEDANKEN EINER GOTTSELIGEN SEELE

Kehre wieder zu deiner Ruhe, meine Seele, denn der Herr thut dir Gutes. (Ps. 116)
von
Gerhard Teersteegen
(1697 - 1769)


Der Abend kommt, die Sonne sich verdecket,
Und alles sich zur Ruh und Stille strecket.
O meine Seel', merk' auf! wo bleibest du?
Om Gottes Schoo?, sonst nirgend find'st du Ruh'.

Der Wandersmann legt sich ermüdet nieder;
Das Vöglein fleugt nach seinem Nestchen wieder;
Das Schäflein auch in seinen Stall kehrt ein;
Lach mich in dich, mein Gott, gekehret seyn.

Ach! sammle selbst Begierden und Gedanken,
Die noch so leicht, aus Schwachheit, vor dir wanken:
Mein stall, mein Nest, mein Ruhplatz, thu dich auf,
Da ich in dich, von allem andern, lauf.

Recht väterlich hast du mich heut'geleitet,
Bewahrt, verschont, gestärket und geweidet:
Ich bin's nicht werth, daß du so gut und treu:
Mein Alles dir zum Dank gegeben sey.

Vergib es, Herr, wo ich mich heut' verirret,
Und mich zu viel durch dies und das verwirret!
Es ist mir Leid, es soll nicht mehr geschehn;
Nimm mich nur ein, so werd ich fester stehn.

Da nun der Leib sein Tageswerk vollendet,
Mein Geist sich auch zu seinem Werke wendet,
zu beten an, zu lieben inniglich,
Im stillen Grund, mein Gott, zu schauen dich.

Die Dunkelheit ist da, und alles schweiget,
Mein Geist vor dir, o Majestät, sich beuget:
In's Heiligtum, in's Dunkle, kehr' ich ein,
Herr! rede du, laß mich ganz stille sein.

Mein Herz sich dir zum Abendopfer schenket,
Mein Wille sich in dich gelassen senket:
Affekten schweigt! Vernunft und Sinnen, still!
mein müder Geist im Herren ruhen will.

Dem Leib' wirst du bald seine Ruhe geben;
Laß nicht den Geist zerstreut in Unruh' schweben;
Mein treuer Hirt, führ' mich in dich hinein,
In mir, mit dir, kann ich vergnüget seyn.

Im Finstern sey des Geistes Licht und Sonne;
Im Kampf und Kreuz mein Beistand, Kraft und Wonne:
Dech mich bei dir in deiner Hütte zu,
Bis ich erreich die volle Sabbathsruh'.

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