Donnerstag, 8. Mai 2014

DER HÜNENSTEIN von Annette von Droste-Hülfhoff



Zur Zeit der Scheide zwischen Nacht und Tag,
Als wie ein siecher Greis die Heide lag
Und ihr Gestöhn des Mooses Teppich regte,
Krankhafte Funken im verwirrten Haar
Elektrisch blitzten, und, ein dunkler Mahr,
Sich über sie die Wolkenschichte legte;

Zu dieser Dämmerstunde war's, als ich
Einsam hinaus mit meinen Sorgen schlich,
Und wenig dachte, was es draußen treibe.
Nachdenklich schritt ich, und bemerkte nicht
Des Krautes Wallen und des Wurmes Licht,
Ich sah auch nicht, als stieg die Mondesscheibe.

Grad war der Weg, ganz sonder Steg und Bruch;
So träumt' ich fort und, wie ein schlechtes Buch,
Ein Pfennigsmagazin uns auf der Reise
Von Station zu Stationen plagt,
Hab' zehnmal Weggeworfnes ich benagt,
Und fortgeleiert überdrüß'ge Weise.

Entwürfe wurden aus Entwürfen reif,
Doch, wie die Schlange packt den eignen Schweif,
Fand ich mich immer auf derselben Stelle;
Da plötzlich fahr ein plumper Schröter jach
Ans Auge mir, ich schreckte auf und lag
Am Grund, um mich des Heidekrautes Welle.

Seltsames Lager, das ich mir erkor!
Zur Rechten, Linken schwoll Gestein empor,
Gewalt'ge Blöcke, rohe Porphirbrode;
Mir überm Haupte reckte sich der Bau,
Langhaar'ge Flechten rührten meine Brau,
Und mir zu Füßen schwankt' die Ginsterlode.

 Ich wußte gleich, es war ein Hünengrab,
Und fester drückt' ich meine Stirn hinab,
Wollüstig saugend an des Grauens Süße,
Bis es mit eis'gen Krallen mich gepackt,
Bis wie ein Gletscherbronn des Blutes Takt
Aufquoll und hämmert' unterm Mantelvließe.

Die Decke über mir, gesunken, schief,
An der so blaß gehärmt das Mondlicht schlief,
Wie eine Witwe an des Gatten Grabe;
Vom Hirtenfeuer Kohlenscheite sahn
So leichenbrandig durch den Thimian,
Daß ich sie abwärts schnellte mit dem Stabe.

Husch fuhr ein Kiebitz schreiend aus dem Moos;
Ich lachte auf; doch trug wie bügellos
Mich Phantasie weit über Spalt und Barren.
Dem Wind hab' ich gelauscht so scharf gespannt,
Als bring' er Kunde aus dem Geisterland,
Und immer mußt' ich an die Decke starren.

Ha! welche Sehnen wälzten diesen Stein?
Wer senkte diese wüsten Blöcke ein,
Als durch das Heid die Totenklage schallte?
Wer war die Drude, die im Abendstrahl
Mit Run' und Spruch umwandelte das Tal,
Indes ihr goldnes Haar im Winde wallte?

Dort ist der Osten, dort, drei Schuh im Grund,
Dort steht die Urne und in ihrem Rund
Ein wildes Herz zerstäubt zu Aschenflocken;
Hier lagert sich der Traum vom Opferhain,
Und finster schütteln über diesen Stein
Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.

Wie, sprach ich Zauberformel? Dort am Damm –
Es steigt, es breitet sich wie Wellenkamm,
Ein Riesenleib, gewalt'ger, höher immer;
Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt –
Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,
Durch seine Glieder zittern Mondenschimmer.

Komm her, komm nieder – um ist deine Zeit!
Ich harre dein, im heil'gen Bad geweiht;
Noch ist der Kirchenduft in meinem Kleide! –
Da fährt es auf, da ballt es sich ergrimmt,
Und langsam, eine dunkle Wolke, schwimmt
Es über meinem Haupt entlang die Heide.

Ein Ruf, ein hüpfend Licht – es schwankt herbei –
Und – »Herr, es regnet« – sagte mein Lakai,
Der ruhig übers Haupt den Schirm mir streckte.
Noch einmal sah ich zum Gestein hinab:
Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,
Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! –


Fürstengrab zu Leubingen
(c) Ilka Lohmann

Freitag, 23. November 2012

MAN SAGT MIR ZWAR, ICH SOLL DICH HASSEN....


Sybilla Schwarz
(Die Verfasserin lebte 1621 und starb 1631 in Greifswald.)


Man sagt mir zwahr: Ich soll dich hassen
und nicht mehr lieben wie ich pflag,
so kan ich doch nicht vohn dir lassen ,
ich fliehe dich auch wie ich mag.

Wie offt hab ich mir fürgenommen,
du sollest mir in meinen Sinn,
O Galatee, nicht mehr kommen.
Nein! Nein! ich lieb dich wie vorhin.

Wir sind je nicht zu gleich gebohren,
eß gleichen unsre Sternen nicht;
mir hette Venus sich verloren,
dir aber schien ihr helles Licht.

Werd ich durch List dan hintergangen
und hat man mir was beygebracht ,
daß ich so stets an dir muß hangen
und ruhe weder Tag noch Nacht?

Seh ich dich an so fühl ich Schmerzen;
genieß ich deiner Gegenwart
so ist mir auch nicht wohl zuhm Herzen.
Ich stehe bey dir wie erstart.

Die Rede will mir ganz nicht fliessen.
Ich zittre wie ein Espen Laub;
der Augen Quell muß sich ergiessen.
Ich bin wie Sinnloß, stumb und taub.

Auch glaub ich, daß auß diser Ketten
und auß dem harten Liebes Streit
mich Perseus selbst nicht könt erretten
der doch Andromeden befreyt.

Darumb woll Cloto meinem Leben
weil sonst mir nicht zu helffen steht
die längst gewündschet' Endschafft geben
dardurch ein Mensch der Lieb entgeht.



Samstag, 22. September 2012

HERBSTTAG

von Rainer Maria Rilke

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.


Herbstlich geschmückter Taufstein der Kirche zu Niederroßla

Donnerstag, 30. August 2012

JEMAND, DER VERGISST

von Jehuda Amichai
(1924 - 2000)


Jemand, der einen Menschen vergißt,
vergißt drei: ihn,
den Namen der Straße, in der er wohnte,
und den Menschen, nach dem die Straße benannt wurde.

Du mußt nicht weinen.
Zwei Eukalyptusbäume standen dort.
Sie sind bestimmt gewachsen. Gegen
Abend war es. Du mußt nicht weinen.

Das ist nun alles ruhig,
richtig und weise und etwas traurig,
wie ein Vater, der allein ein kleines Kind aufzieht,
wie ein kleines Kind, das allein bei einem Vater aufwuchs.





Quelle:
Jehuda Amichai (1992 - Neuausgabe) WIE SCHÖN SIND DEINE ZELTE, JAKOB
R. Piper GmbH & Co. KG, München, 1988, S. 84
ISBN: 9783492-115582, Preis 16,80 DM

Samstag, 14. April 2012

GEHEIMNIS DER JUGEND

von Wladimir Wladimirowitsch Majakowskij



Nein, nicht jene sind jung,
die gelümmelt ins Boot und auf Wiesen
mit Grölen und Johlen den Trunk
sich hinter die Binde gießen.

Nicht jene nenn ich jung,
die nachts, untre Frühlingshimmeln,
als Modenarren mit Schwung
glockenhosig am Bummelplatz bimmeln.

Nein, nicht jene sind jung,
die des Lebens Frührotfreuden
beim frühesten Knospensprung
in Liebschaften billig vergeuden.

Heißt dies etwa Jugend? 
Nein.
Es genügt nicht,
achtzehn zu sein.

Jung nenn ich jene unverzagt,
der zu gelichteten Kampfschar der Alten
im Namen der Nachgeborenen sagt:
Wir wollen das Dasein neu gestalten.

Jugend - der Name ist Gabe, die ehrt,
an die junge Garde der Zukunftswacht,
an den, der uns streitbaren Frohsinn beschert
und unsere Tage glücklich macht.

Mittwoch, 30. November 2011

TO OSCAR WILDE

by
Lord Alfred Douglas


I dreamed of you last night, I saw your face
All radiant and unshadowed of distress.
And as of old, in measured tunefulness,
I heard your golden vioce and marked your trace
Under the common thing the hidden grace,
Till mean things put on beauty like a dress
And all the world was an enchanted place.

And so I knew, that it was well with you
And that unprisoned, gloriously free
Across the dark you streched me out your hand
And all the spite of this besotted crew
(Scrabbling on pillars of eternity)
How small it seems. Love made me understand.





Quelle: Frank Harris (2007) Oscar Wilde, His Life and Confessions, erschienen bei 1st World Inc., S.228

Sonntag, 16. Oktober 2011

REQUIESCAT


by Oscar Wilde


TREAD lightly, she is near
Under the snow,
Speak gently, she can hear
The daisies grow.


All her bright golden hair
Tarnished with rust,
She that was young and fair
Fallen to dust.


Lily-like, white as snow,
She hardly knew
She was a woman, so
Sweetly she grew.


Coffin-board, heavy stone,
Lie on her breast,
I vex my heart alone
She is at rest.


Peace, Peace, she cannot hear
Lyre or sonnet,
All my life’s buried here,
Heap earth upon it.