Dienstag, 24. Mai 2011

MEIN HERZ, MEIN HERZ IST TRAURIG


von Heinrich Heine

Mein Herz, mein Herz ist traurig,
Doch lustig leuchtet der Mai;

Ich stehe, gelehnt an der Linde,

Hoch auf der alten Bastei.


Da drunten fließt der blaue

Stadtgraben in stiller Ruh;

Ein Knabe fährt im Kahne,

Und angelt und pfeift dazu.


Jenseits erheben sich freundlich,

In winziger, bunter Gestalt,

Lusthäuser, und Gärten, und Menschen,
Und Ochsen, und Wiesen, und Wald.


Die Mägde bleichen Wäsche,

Und springen im Gras herum
;
Das Mühlrad stäubt Diamanten,

Ich höre sein fernes Gesumm.


Am alten grauen Turme

Ein Schilderhäuschen steht;

Ein rotgeröckter Bursche

Dort auf und nieder geht.

Er spielt mit seiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenrot,

Er präsentiert und schultert -

Ich wollt, er schösse mich tot.

Dienstag, 10. Mai 2011

WIE MAG DIE LIEBE DIR KOMMEN SEIN?

von
Rainer Maria Rilke


Und wie mag die Liebe dir kommen sein?
Kam sie wie ein Sonnen, ein Blütenschein,
kam sie wie ein Beten? - Erzähle:

Ein Glück löste leuchtend aus Himmeln sich los
und hing mit gefalteten Schwingen groß
an meiner blühenden Seele....